Nun singen sie wieder

...ist die erste literarische Auseinandersetzung des Autors
mit dem Krieg. Das Drama erregte besonders in Deutschland großes
Aufsehen und gab Anlaß zu heftigen Debatten, aber auch zu
Bewunderung für die Fähigkeiten des neutralen Beobachters,
Bilder von beiden Seiten der Front zu geben.

Der Gesang, der den Erschiessungstod erwartenden Geiseln, zieht
sich durch Titel und Szenen des Dramas, als Mahnruf und als Verweis
vom Reich der Lebenden in das der Toten; denn „immer wenn
sie schießen hören, oder sonst wenn ein Unrecht geschieht,
nun singen sie wieder!“

„Nun singen sie wieder“ ist ein Mahnruf zur Wahrheit,
zum Selber-Denken, zum Selber-Handeln und dafür „Illusionen“
umzusetzen, zu verwirklichen.
So sagt der junge Soldat Karl der die Geiseln erschossen hat und
später desertiert und Selbstmord begeht: „Es gibt keine
Ausflucht in den Gehorsam, auch wenn man den Gehorsam zu seiner
letzten Tugend macht, er befreit uns nicht von der Verantwortung.“

Die Handlung:

Die Handlung wird durch Herbert, einen jungen Offizier ausgelöst;
er läßt die Geiseln und den Popen erschießen.
An der Entwicklung dieses begabten, feinfühligen, nach Erkenntnis
strebenden Menschen zum brutalen Mörder aus Überzeugung
(„ich werde töten, bis der Geist aus seinem Dunkel tritt,
wenn es ihn gibt (....)“) zeigt sich das Drama des Krieges.

Der erste Teil des Stückes spielt ausschließlich
in der Welt der Lebenden. Im zweiten Teil finden sich die Toten
beider Seiten zu friedlicher Gemeinschaft zusammen. Der Pope reicht
ihnen Brot und Wein und hilft ihnen die Vergangenheit (das Leben)
zu verarbeiten und einen Neuanfang zu finden.

„Nun singen sie wieder“ ist der Versuch eines Requiems
für die Opfer aller Kriege. Das letzte Bild beleuchtet den
Krieg (und mit ihm das Leben und Sterben überhaupt) noch
einmal aus der Distanz derer, die keine Konsequenz ziehen können.
Der Hauptmann erkennt „wir hätten anders leben sollen
(...) wir hätten es können“. Die Lebenden reden
von Rache und Anklage, von der Vergangenheit und von äußeren
gesellschaftlichen Werten.

Der Funker bemerkt: „Nun legen sie den Kranz! Damit es ihnen
wohler ist, wenn sie gehen. Und auch die Schleife: so damit der
liebe Gott sie lesen kann. (...) - sie machen aus unserem Tode,
was ihnen gefällt, was ihnen nützt. Sie nehmen die Worte
aus unserm Leben, Sie machen ein Vermächtnis daraus, wie
sie es nennen, und lassen uns nicht reifer werden als sie selber
sind.“

Max Frisch

Am 15. Mai 1911 wurde Max Frisch in Zürich als Sohn eines
Architekten geboren. Nach dem Kantonalen Realgymnasium in Zürich
studierte er 1930-33 Germanistik an der Universität Zürich.
Aus finanziellen Gründen brach er dieses Studium jedoch ab.
Später studierte er Architektur an der ETH in Zürich
(Diplom). Ab 1931 als freier Journalist tätig, verfasste
F. vor allem für die "Neue Züricher Zeitung"
Berichte über seine Reisen (z.B. durch Deutschland (1935)).

1939-45 - Militärdienst als Kanonier
1942 - Architekturbüro in Zürich
1946,48 - Reisen durch Europa
1952 - einjähriger Aufenthalt in den USA
1956 - Reise nach USA, Mexiko, Kuba
1957 - Homo Faber, Reise durch Arabische Staaten.
1960-65 - Wohnsitz in Rom
1966 - Reise in die UdSSR + Polen
1970 - Aufenthalt in den USA

Die letzten Jahre lebte Frisch, der an einem schmerzhaften
Krebsleiden erkrankt war, zurückgezogen in Berzona im Tessin.
Am 4. April 1991 starb F. "ruhig in seiner Wohnung"
in Zürich, wie sein Sohn Peter mitteilte.

Veröffentlichungen u.a.: "Jürg Reinhart"
(34), "Blätter aus dem Brotsack. Tagebuch eines Kanoniers"
(40; Neuausg. 64), "Die Schwierigen oder J'adore ce qui me
brûle" (43), " Don Juan oder die Liebe zur Geometrie"
(53), "Homo Faber" (57), "Mein Name sie Gantenbein"
(64), "Montauk" (75), "Der Mensch erscheint im
Holozän"(79)

Auszeichnungen u.a.: Ehrengabe der Schweizer Schillerstiftung
(40), Dramenpreis der Emil - Welti - Stiftung (45), Wilhelm -
Raabe - Preis (54), Georg Büchner - Preis + Literaturpreis
der Stadt Zürich (58), Großer Schillerpreis der Schweizerischen
Schillerstiftung (74), Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
(76), Heinrich Heine - Preis der Stadt Düsseldorf (89)

Frisch zu „NUN SINGEN SIE WIEDER“:

„Der Ort, an dem die Szenen spielen, geht immer aus dem
gesprochenen Wort hervor, Kulissen sollten nur soweit vorhanden
sein, als sie der Schauspieler braucht, auf keinen Fall dürfen
sie eine Wirklichkeit vortäuschen wollen. Denn es muß
der Eindruck eines Spieles durchaus bewahrt bleiben, so daß
keiner es am wirklichen Geschehen vergleichen wird, das ungeheuer
ist. Wir haben es nicht einmal mit Augen gesehen und man muß
sich fragen, ob uns ein Wort überhaupt ansteht. Der einzige
Umstand, der uns vielleicht zu Aussage berechtigen könnte,
liegt darin, daß wir , die es nicht am eigenen Leibe erfahren
haben, von der Versuchung aller Rache befreit sind. Der Zweifel
bleibt dennoch bestehen. Es sind Szenen, die eine ferne Trauer
sich immer wieder denken muß, und wäre es auch nur
unter dem unwillkürlichen Zwang der Träume, wie sie
jeden Zeitgenossen heimsuchen; andere werden sich andere denken.“